Hans Ulrich Imesch
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ETH

Wissenschaft

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Zu Beginn meiner Tätigkeit als Unterrichts- und Forschungsassistent an der ETH, Abteilung für Architektur, Professur Walter Custer, war ich 30 Jahre alt. Ich hatte da schon Häuser gebaut, Bauten und Städte entworfen, an Wettbewerben teilgenommen und auch Preise erhalten. Das Wissen über Architektur und Städtebau habe ich mir in der Praxis anhand konkreter Aufgabenstellungen erarbeitet. Das Wissen, das dabei entstand, nenne ich Erfahrungswissen.

Aufgrund meines Erfahrungswissens war ich nun ziemlich erstaunt, wer da an der ETH Architektur studiert. Alle waren sie zweifellos sehr gescheit. Aber noch mehr erstaunt war ich, dass sie, im Gegensatz zu mir, offenbar keine Zweifel kannten. Auch wenn der oder die eine oder andere privat an Minderwertigkeitskomplexen gelitten haben mag und zum Entwerfen keinerlei Begabung mitbrachte: Nach aussen wurde überlegene Selbstsicherheit demonstriert. Auf mein Nachfragen bei Custer meinte dieser mit den Augen zwinkernd: „An der ETH studieren die geistigen Alphatierchen unserer Gesellschaft.“

Wir unterrichteten Studentinnen und Studenten im vierten Ausbildungsjahr, also im letzten Jahr vor dem Diplom. Custer war, um die Studierenden auf die Praxis vorzubereiten, ein Verfechter sogenannter Life Case Studies. Für mich war es spannend zu sehen, wie die geistigen Alphatierchen sich an praxisnahe Aufgaben machten. Die Bibliothek und deren Kopiermaschinen standen im Zentrum. Fakten, Argumente, Ergebnisse sammeln, logisches Verknüpfen, intellektuelles Debattieren, vernünftiges Optimieren führten in aller Regel zu machbaren Lösungen.

Erfahrungswissen und Kopfwissen schliessen sich also nicht aus. Die Verbindung von beidem ist sogar optimal. Das Wesentliche aber ist nicht das Wissen, sondern wie der Mensch mit seinem Wissen umgeht. Dies offenbart sich in seinem Handeln. Denn durch das Handeln manifestiert der Mensch das, worauf es eigentlich ankommt, sein moralisches Wertesystem. Um zu sehen, was dabei alles berührt wird, lohnt sich ein Klick auf folgenden Link: https://www.wertesysteme.de/alle-werte-synonyme/

Hans Ulrich Imesch, am 23.04.2017

Verzeichnis Lehre & Forschung ETH
Beispiele auf dieser Website

Augenschein v. O.

Unsere Übungsanlage „Bauen in Entwicklungsländern (EL)“, Beispiel Projekt „Villages Socialistes Agricoles et Pastoraux in Algerien“, war das Highlight an praxisorientiertem Unterrichtsangebot. Das Ziel war, die Studentinnen und Studenten auf eine zukünftige Berufstätigkeit in EL vorzubereiten.

Neben dem rein Fachlichen implizierte die Übungsanlage die didaktische Schulung des moralischen Wertesystems der Teilnehmenden. Wie geht man damit um, wenn man im fremden Land (wo man glaubte, mit Trompeten und Pauken empfangen zu werden) vorerst ein paar Stunden warten muss, bis der Partner erscheint, mit dem man einen Termin hat? Und anstelle einer Entschuldigung mit der Frage begrüsst wird: „Ihr kommt aus Schweden, was wollt ihr hier?“

Aber unser Partner hielt sich an alle Abmachungen. Wir waren die ersten Ausländer, die bereits erstellte Dörfer besichtigen konnten, denen Bauplätze gezeigt wurden und denen der planerische Ansatz erklärt wurde. Das zeugte von einem sehr, sehr grossen Vertrauen. Das Projekt, 1000 Dörfer für 2 Millionen durch den Krieg besitzlos gewordene Bauern zu bauen, war Chefsache (Boumedienne).

Projekte Villages Socialistes Agricoles
Semesterarbeiten von D. Chuard, H. Im Thurn, C. Schweinfurth, M. Tschabold, J. Weebers
Diplomarbeit von C. Mercier

Beim ersten Jahreskurs (es fanden insgesamt vier statt) wählten wir verschiedene geomorphologische Kontexte (Sahara-Atlas, Sandwüste West, Sandwüste Ost, Hochebene, Tell-Atlas) als hypothetische Standorte.

Während des Wintersemesters fand die Einarbeitung statt durch Studium der offiziellen Planungsinstrumente, der örtlichen traditionellen Bauweise, der Lebensgewohnheiten der lokalen Bevölkerung, der landwirtschaftlichen Tätigkeiten, der wirtschaftlichen Situation. Und es wurden erste konzeptionelle Ansätze skizziert.

In den Frühlingsferien fand der Feldaufenthalt statt. Es ergaben sich dabei Kontakte mit den algerischen Partnern, Besichtigungen der verschiedenen Sites, Präsentationen unseres Ansatzes und Besprechungen des weiteren Vorgehens.

Während des Sommersemesters entstanden die Projekte, wie sie hier dokumentiert sind. Das methodische Raster sah vor, dass jedes Projekt folgende Elemente enthalten musste: Typologie Wohneinheit. Hierarchie der Nachbarschaften, Hierarchie der öffentlichen Räume, Dorfzentrum und Gemeinschaftsanlagen, Erschliessung, Bezug zum landwirtschaftlichen und landschaftlichen Umfeld. Alle Projekte, auch die späteren, wurden dem algerischen Partner abgegeben und einige von ihnen wurden realisiert.

Regionalstudie und Siedlungstypologie Villages Socialistes Pastoraux
Regionalstudie: J. N. Bringolf, M. Forster
Schwerpunktstudie Baumaterial: W. Jäggi
Siedlungstypologie: H. Thomann

Die Region hat in etwa die Grösse der gesamten Westschweiz. Sie liegt auf der Hochebene (1000 m ü. M), die klimatischen Bedingungen sind äusserst hart, sie ist landwirtschaftlich gemäss traditioneller Sichtweise nicht nutzbar, es ist die Gegend der nomadisierenden Schafzüchter.

Es ging darum, herauszufinden, ob und unter welchen Bedingungen eine sanfte Besiedlung des Gebietes möglich sei. Die Regionalstudie untersuchte die klimatischen Gegebenheiten, den Wasserhaushalt, die Migrationsströme und Hauptrouten der nomadisierenden Schafzüchter, die Erschliessung und das Potenzial an möglichen Siedlungsstandorten und das Potenzial an möglichen weiteren Nutzungsmöglichkeiten der lokalen Gegebenheiten. Neben der Ansiedlung kleinerer kunsthandwerklicher Betriebe (Webereien, Töpfereien, Gerbereien) und einer einfachen Hotellerie (Pferdetrecking) wurde auch an die Verwendung des hier in rauen Mengen wachsenden Alfa-Grases als Baumaterial gedacht (Durisol). Schliesslich wurde für diese neuen Dorfkonzepte eine spezielle Siedlungstypologie entwickelt.

Stadtentwurf Magtoufa
Verfasser: W. Nägeli

Der Standort Magtoufa liegt am Fuss des Sahara-Atlas auf der Seite, wo die Wüste beginnt. Es ist die Gegend, wo die weltbesten Datteln, die Deglet Nour (die Finger des Lichts oder die Lichtfinger) gedeihen. Es ist also eine prosperierende Gegend mit einem enormen ökonomischen Potenzial. Die Regierung plante hier ein gemäss ihrer Typologie Village tertiärer Grösse zu erstellen. Diese Dörfer dritter Grösse sind geplant für eine Bevölkerung von rund 10’000 Menschen, nach Schweizer Verhältnissen sind sie also Städte.

Nägelis Entwurf der Stadt Magtoufa ist ein Beispiel dafür, was ich heute Holistic Design nenne. Der Entwurf ist gescheit, schön, Spiegel einer tiefen inneren Logik oder ein Abbild von dem, was ich „kosmische Ordnung“ nenne. Er ist auch ein Beweis für meine Behauptung, dass, abstrahiert man von seinem persönlichen Bewusstseinsfeld und lässt sich auf noch unbekannte, aber durchaus vorhandene geistig-seelische Bereiche ein, man in der Lage sein wird, das Wesen des Fremden zu verstehen.

Der traditionelle islamische Städtebau ist introvertiert. Er sucht nicht den repräsentativen Auftritt nach aussen. Ein Gang durch eine Siedlung der Sahara ist ein Gang entlang Mauern. Geschlossene Mauern. Anonym wirkende Mauern. Da und dort eine Türe. Bescheiden. Stösst man die auf oder besser öffnet sich die einem, erschliesst sich einem ein Geheimnis. Vielleicht heisst es Armut. Vielleicht Reichtum. Von aussen nicht zu sehen. Von aussen gesehen unterscheiden wir uns nicht. Das, was hinter der Mauer ist, kann ein Hof sein, in dem ein Zelt steht, oder es kann eine Villa oder gar ein Palast sein.

Die in unserer extravertierten Architektur auf den Menschen draussen gerichteten Fassaden gibt es im islamischen Städtebau nicht. Es gibt dort Innenhöfe, Patios, Treppenaufgänge aufs Dach, Öffnungen im Dach, um das Licht hineinzulassen, Schlafstätten auf dem Dach, ausgebreitete Teppiche auf dem Dach, wo Früchte und Gewürze an der Sonne trocknen, und alles ist nur von einer Seite einsehbar, von oben. Die Fassade im islamischen Städtebau ist das Dach, das nur von ihm – „Gott“ – einsehbar ist.

Versandungsstudie
Multidisziplinäre Zusammenarbeit Professur für Architektur und Raumplanung, Prof. W. Custer, Ass. H. U. Imesch und Institut für Hydromechanik und Wasserbau IHW, Prof. T. Dracos und Dr. A. Müller.
Mitarbeit: S. Trösch, cand. Arch. ETH

Die zwar ziemlich fotogenen Versandungen von ganzen Siedlungen der Sahara inspirierten unseren wissenschaftlichen Geist zur Frage, ob es da nicht irgendwelche Möglichkeiten des Schutzes gäbe. Wir hatten festgestellt, dass die Einheimischen das Problem dadurch zu lösen suchen, indem sie den durch den Wind herangetragenen Sand stoppen. Das Ergebnis sind Ablagerungen, die ständig wachsen und deren Unterhalt ab einer bestimmten Grösse zu aufwendig wird. Man beginnt an einem anderen Ort neu – Platz hat es ja genug. Uns gefiel die Vorstellung, dass ein allenfalls von der ETH gebautes Dorf nach fünf oder zehn Jahren unter dem Sand begraben ist, nicht.

Wir gelangten an die Strömungswissenschafter des IHW. Zusammen bastelten wir schematische Modelle, versenkten sie im Wasserkanal und stellten diesen an. Dem Wasser wurde Sand beigegeben. Die Versuche zeigten, dass die Abmessungen (Länge, Breite, Höhe) und die Gestalt der Modelle (rund, quadratisch, recheckig) und deren Anordnung (linear, flächig, dispers, kompakt) Variable darstellen, deren Veränderungen die Ergebnisse beeinflussten. Es zeigte sich, dass die Bauten, die dem Wind ja als Hindernis im Weg sind, so zu dimensionieren und anzuordnen sind, dass sie Luftwirbel erzeugen und dadurch den Sandtransport beschleunigen.

Die finale Erfolgskontrolle bestand darin, dass wir ein „Dorf“ mit Sand zudeckten und dann die Strömung in Bewegung setzten. Es war in der Tat faszinierend zuzuschauen, wie sich das Dorf allein mithilfe des Windes freischaufelte.

Forschungsarbeit Timimoun
Impressum:
Initiierung und Gesamtleitung: H. U. Imesch
Feldarbeit: H. U. Imesch, H. Thomann
Ortsaufnahmen Pläne: H. Thomann, Studenten und Absolventen ETH
Planzeichnungen: H. U. Imesch, H. Thomann, Studenten und Absolventen ETH
Fotos: H. Thomann
Unterstützung lokal: Die gesamte einheimische Bevölkerung
Unterstützung Algerien: Algerische Botschaft in der Schweiz, Präfektur Wilaya Adrar
Unterstützung Schweiz: ETH, EDA, Pro Helvetia, Stadt Zürich

Hin und wieder ertappte ich Custer, wie er sich die Haare raufte und etwas verzweifelt ausrief: „Die Studenten füttern Elefanten und gebären Mäuse.“ Das ist leider wahr. Nicht nur bei den Studenten, sondern auch bei den Studentinnen, und es ist eine allgemeine Tendenz des „wissenschaftlichen Problemlösens“. Kaum hatte sich auf ich weiss nicht was für Kanälen mein Vorhaben Forschungsarbeit Timimoun herumgesprochen, meldeten sich Soziologen, Ethnologen, Entwicklungshelfer, Politologen, Klimatologen, Förster, Botaniker, Landwirte, Ökonomen, Islamwissenschafter, Musikwissenschafter, Theologen, Meteorologen, Geografen, Methodologen, Betriebswirtschafter und ich weiss nicht mehr was sonst, ich könne diese Forschungsarbeit nie und nimmer ohne ihr Dabeisein – also ohne deren wissenschaftliches Know-how – angehen, geschweige denn zu vernünftigen, brauchbaren Ergebnissen kommen.

Nun, ich habe sie alle sitzen lassen. Denn intuitiv spürte ich, dass nicht wissenschaftliche Arroganz, sondern die Arbeit an dem, was ich oben „moralisches Wertesystem“ nannte, zielführend sei. Im Katalog zur Ausstellung Timimoun Habitat du Sahara schreibt Rachid Haddad, damals Botschafter von Algerien in der Schweiz, in seinem Vorwort: „Il me parait important de dire que l’interet de ces travaux reside aussi dans le fait que l’on s’est defendu contre toute subjectivité et tout exotisme facile.“ Ich finde, dieser Satz beinhaltet diplomatisch formuliert Substanzielles. Die Saharabewohner schätzen es gar nicht, wie sie es zu kolonialen Zeiten erfahren mussten, wenn sie aus wissenschaftlicher Neugier wie Ameisen beobachtet werden.

Ich ging allein hin. Assistiert von Hansueli Thomann, dessen Art, Probleme anzugehen und mit den Einheimischen zu kommunizieren, ich im Rahmen der früheren Studien für Algerien sehr schätzte. Ich ging da hin im Bewusstsein, ich sei dort ein Fremder. Mit der Einstellung, dass ich von den Einheimischen etwas lernen kann. Unser Ziel war das Erkennen von Grundmustern der traditionellen Bauweise. Weil darin ein Know-how verborgen liegt, das über Jahrhunderte gereift ist. Ein Know-how, das in einem schwierigen Landschaftsraum, wir nennen ihn ja Wüste, auch den Ärmsten ein eigenes Haus, einen eigenen Garten, einen selbsttragenden Lebensraum ermöglicht.

Für die Einheimischen ist das alles selbstverständlich. Man kann sie nicht fragen, warum sie ihre Mauern rund 60 cm dick machen. Eine solche Frage löst bei den Einheimischen Gelächter aus. Den Grund dafür muss man selber herausfinden. Wenn man den herausgefunden hat, war man wissenschaftlich. Aber das Reden war sowieso zweitrangig. Erstens weil wir die verschiedenen Sprachen nicht verstanden (Arabisch, Berberisch und Hartani), und zweitens, weil es in den Gesprächen in der Sahara nicht um Wahrheitsfindung geht, sondern darum, freundschaftlich miteinander auszukommen. Wenn Sie zum Beispiel einem Dorfältesten sagen, „heute Nacht wird es schneien“, wird er Ihnen recht geben.

Timimoun Fotos
Fotos: H. Thomann

Lieber Hansueli, ich möchte mich an dieser Stelle endlich bei dir bedanken. Nicht nur für deine präzisen, einfühlsamen und doch sehr sachlichen Fotos, die ein wahrer Schatz sind, den man bislang nach aussen, trotz erfolgreicher Ausstellung, viel zu wenig kommunizieren konnte, sondern für dein ehrliches Engagement und die Freude an der Arbeit, und vor allem dafür, dass du es mit mir überhaupt ausgehalten hast. Immerhin hatten wir ja rund ein Jahr zusammen in der Wüste verbracht.

Auch wenn wir oberflächlich gesehen zwei ziemlich verschiedene Naturen sind, haben wir Gemeinsamkeiten, die der Grund sind für unsere erfolgreiche Arbeit. Ich vermute, die Grundlage für unser erfolgreiches Zusammenarbeiten ist ein ehrlicher gegenseitiger Respekt. Du hast mich stets unterstützt, das habe ich sehr geschätzt. Und ich wusste stets, woran ich mit dir war. Deshalb wollte ich diese Forschungsarbeit mit dir machen. Viele deiner damaligen Studienkollegen schüttelten ob meiner Wahl den Kopf, sie hielten sich als für viel besser geeignet. Sie bestätigten mir dadurch, dass ich die richtige Wahl getroffen habe.

Nun ist es ja so, dass die Ausstellung immer noch in deinem Keller lagert. Das ist gut so. Ich bin mir sicher, dass sie irgendwann nochmals gezeigt wird.